Als Stoßbodenkräfte bezeichnet man in der Waffentechnik Kräfte, welche auf den Stoßboden wirken. Dabei gilt es in erster Linie eine Waffe so zu konstruieren, dass diese in der Lage ist diesen Stoßbodenkräften standzuhalten. In zweiter Linie können diese Kräfte auch dazu genutzt werden, die automatische Funktion einer Waffe anzutreiben.
Es existieren sechs allgemeine Stoßbodenkräfte: Zündhütchenaushub, Rückdruck (wis. direkt wirkender Gasdruck), Patronenstreckung, Auszugsgegenreaktion, der Geschossrückstoß sowie der Raketeneffekt oder Gasrückstoß. Die meisten dieser Kräfte wirken pneumatisch mit einem lokalen Bezugssystem, es ist dabei wichtig zu verstehen welche Elemente gerade als Kolben und welche als Zylinder fungieren.
Zündhütchenaushub[]
Das Zündhütchen arbeitet als Kolben(rot), die Patronenhülse als Zylinder(blau)
Zündet die Patrone, so wird das Treibmittel im inneren in Pulvergase umgesetzt, welche unter einem hohen Druck stehen. Dieser Druck wirkt zu allen Seiten hin und verursacht an den Stellen als erstes eine Bewegung, welche dem stetig steigenden Druck den gierigsten Widerstand leisten. Je nach Konstruktion der Patrone bietet das Zündhütchen den geringsten Widerstand und so versucht der Gasdruck als erstes dieses aus der Zündglocke heraus zudrücken. Dabei fungiert das Zündhütchen als Kolben und die Zündglocke im Patronenboden als Zylinder. Bei den meisten Waffen wird das Zündhürchen jedoch vom Stoßboden des Verschlusses abgestützt und kann nicht nach außen gedrückt werden, da die Auszieherkralle ein Gegenlager bietet, Verschluss eine zu große Masse besitzt oder der Verschluss mit dem Patronenlager verriegelt ist. Zudem ist vor allem militärische Munition so konstruiert, dass das Zündhütchen formschlüssig in der Zündglocke befestigt wird.
Die Kraft des Zündhütchenaushubs hält, wie alle Gaskräfte an, solange die Gasdrucksäule im Lauf noch einen ausreichenden Druck für den Antrieb hat, dies kann auch noch der Fall sein, lange nachdem das Geschoss den Lauf der Waffe bereits verlassen hat. Grund dafür ist, dass das Gas im Lauf noch eine Weile lang benötigt, bis es sich mit den Gasen der Umgebung ausgeglichen und völlig entspannt hat.
Waffen mit sogenanntem Zündhütchenhub verwenden den Zündhütchenaushub als Antriebsart für die Entriegelung ihres Verschlusses. Solche Waffen zählen zu den Gasdrucklader. Beispiel wäre eine frühe Form des M1 Garand.
Rückdruck (direkter Gasdruck)[]

Die Hülse (magenta) kann als Kolben wirken, da es mit dem Geschoss (dunkel lila) ein Gegenlager hat.
Der Gasdruck in der Brennkammer der Patronenhülse wirkt zudem auch auf das Geschossheck. Die Vermutung liegt nahe, dass lediglich der Druck auf das Geschossheck eine Bewegung verursachen kann. Dies ist jedoch nicht der Fall, der Grund liegt in der Masseträgheit des Geschosses, diese bietet der Hülse ein Gegenlager. Ergo werden zeitglich das Geschoss nach vorne sowie die Patronenhülse nach hinten getrieben. Den Gasdruck welcher das Geschoss beschleunigt, nennt man Triebdruck oder Vortrieb, den Gasdruck, welcher die Patronenhülse nach hinten schiebt nennt man Rückdruck[1].
Das Geschoss wirkt als Kolben(rot) gegen den Die Hülse als Selbstzylinder(blau)
Dies stellt die erste Phase des Rückdrucks dar, die Zweite tritt ein, sobald das Geschoss im Übergangskonus in Kontakt mit den beginnenden Zügen und Feldern kommt. Auf diese Weise wird dem Geschoss eine weiteres Gegenlager geboten. Von diesem Angriffspunkt aus, ist der Brennkammerdruck in der Lage die Patronenhülse als Selbstkolben nach hinten noch stärker gegen den Stoßboden zu treiben. Diese Kraft bleibt jedoch lokal begrenzt und ist für den Schützen nicht spürbar.
Die Hülse wird als Kolben(rot) aus dem Lauf als Zylinder(blau) nach hinten getrieben
Die dritte Phase des Rückdrucks tritt ein, wenn das Geschoss den Hülsenmund vollstündig verlassen hat. Die jetzt im Lauf befindliche Gasdrucksäule treibt das Geschoss weiter nach vorne und die Patronenhülse als Hohlkolben nach hinten gegen den Stoßboden des Verschlusses[2]. Auch diese Kraft ist für den Schützen nicht direkt spürbar, erst die durch den Druck verursachte Geschossbewegung kann als Geschossrückstoß spürbar werden.
Der Rückdruck ist die erste der vier bedeutenden Stoßbodenkräfte. Er ist nur in der Lage lokal, innerhalb der Waffe als geschlossenes Bezugssystem, zu wirken. Eine entsprechen konstruierte Waffe vorausgesetzt, ist es dem Rückdruck möglich, die Selbstladefunktion von automatischen Waffen zu betätigen. Waffen welche über den Rückdruck betrieben werden nennt man in der amerikanisierten Waffensprache Rückdrucklader in der Waffenindustriesprache werden sie jedoch als direkte Gasdrucklader, der Rückdruck selber als direkt wirkender Gasdruck[3][4].
Wie alle Gaskräfte wirkt der Rückdruck sehr nachhaltig und kann selbst dann noch wirksam werden, wenn das Geschoss bereits den Lauf der Waffe verlassen hat. Dies liegt daran, dass sich die Gasdrucksäule im Lauf erst entspannen und mit der Umgebungsatmosphäre ausgleichen muss. Erst wenn hinter dem Verschluss sowie in der Patronenhülse wieder der gleiche Druck herrscht, kann diese nicht mehr nach hinten getrieben werden.
Patronenstreckung[]
Bei einer zweiteiligen Hülse, arbeitet ein Teil als Kolben(rot) und der andere als Zylinder(blau)
Der Gasdruck innerhalb der Brennkammer der Patronenhülse versucht das relativ weiche Hülsenmaterial zu verformen, dies gelingt ihm jedoch bei den meisten Waffen nicht, da die Patrone vom Patronenlager vollumfänglich abgestützt wird. Einige wenige Waffen lassen der Patronenhülse jedoch Platz für eine Streckung. Dabei kann es sich sowohl um eine Streckung des Hülsenmaterials handeln, also auch um eine mechanische Streckung einer teleskopartig ausgeführten zweiteiligen Patronenhülse. Durch ihre Streckung drückt die Patrone auf den Stoßboden des Verschlusses. Dabei wirkt die einteilige Patrone selbst als Einheitskolben im Sinne eine Ballons.
Auch die Kraft zur Streckung der Patronenhülse hält als Gaskraft relativ lang auch. Auch nachdem das Geschoss den Lauf der Waffe bereits verlassen hat, ist die Kraft der verbleibenden Pulvergase im Lauf noch stark genug die Hülse weiter zu strecken oder gesteckt zu halten. Erst nach einer Weile, an innenballistischen Maßstäben gemessen, wird sich das Gas im Lauf auf ein Niveau entspannen, welches der Umgebungs Atmosphäre gleicht. Manche Hülsenmaterialien ziehen sich danach teilweise wieder zusammen.
Waffen mit sogenanntem Patronenhub verwenden die Patronenstreckung als Antriebsart für den Antrieb des Verschlusses. Solche Waffen zählen zu den Gasdruckladern. Beispiel wäre ein Umbau des Springfield 1903 zum Selbstladegeweht.
Bei kraftschlüssig dynamisch arbeitenden Waffen mit stark geladenen Flaschenhalshülsen, kommt es ohne Gegenmaßnamen zu einer Streckung der Patronenhülse. Um dies zu vermeiden, besitzen Waffen wie das HK G3 oder die FAMAS geflutete Patronenkammern, diese umspulen den vorderen Teil der Patronenhülse mit Gas und verhindert so eine Überstreckung des Hülsenmaterials.
Auszugsgegenreaktion[]
Die Bewegung des Geschosses(gelb), überträgt die Gegenreaktion über die Pulvergase(pink) auf die Patronenhülse(grün)
Die Auszugsgegenraktion wirkt auf den Stoßboden, sobald das Geschoss von den Pulvergasen aus dem Hülsenmund herumgetrieben (Ausgezogen) wird. Dabei entsteht nach dem dritten Newtonschen-Gesetzt ein Gegenreaktion, welche über die Pulvergase als fluidmechanischen Körper auf den Seelenboden der Patronenhülse wirkt und sich auf dem Stoßboden des Verschlusses überträgt.
Die Gegenreaktion des Geschossauszugs hört in dem Moment auf, auf den Stoßboden einzuwirken, wenn die Geschossbewegung endet. Dies kommt unter anderem bei gezogenen Waffen mit starken Einpresswiderstand in die Felder des Laufes vor. Da dabei das Geschoss komplett zum stehen kommen kann, endet nach dem dritten Gesetz nach Issac Newton auch die Gegenreaktion. Bei Waffen mit schwächen Zügen oder nicht gezogenen Waffen geht die Auszugsgegenreaktion nahtlos in die Geschossbeschleunigungsgegenraktion den sogenannten Geschossrückstoß über.
Der Auszugsgegenreaktion ist die erste der vier bedeutenden Stoßbodenkräfte aber auch gleichzeitig die schwächste und nur dann in der Lage, eine Selbstladefunktion zu bewerkstelligen, wenn ein sehr schweres Geschoss eine sehr lange Auszungsstrecke zurücklegt. Waffen, welche den Auszugsgegenreaktion als Antriebskraft verwenden, zählt man zu den Reaktionsladern. Beispiel: PSS Pistole.
Rückstoß (Geschossrückstoß)[]
Die Bewegung des Geschosses(gelb), überträgt die Gegenreaktion über Patronenhülse und Pulvergase(pink) auf Stoßboden und Lauf(grün)
Der Rückstoß genauer Geschossrückstoß wirkt auf den Stoßboden der Waffe, sobald das Geschoss im Lauf der Waffe beschleunigt wird. Dabei entsteht nach dem dritten Newtonschen-Gesetzt eine Gegenreaktion, welche über die Pulvergase als fluidmechanischen Körper auf den Seelenboden der Patronenhülse und darüber auf den Stoßboden der Waffe wirkt[5]. Die Patronenhülse dient hier lediglich als Zwischenscheibe.
Der Rückstoß ist die dritte der vier bedeutenden Stoßbodenkräfte. Im Gegensatz zum Rückdruck wirkt er nicht lokal begrenzt, sondern global und ist so in der Lage, die gesamte Waffe oder eine Lauf-Verschluss-Koppelgruppe nach hinten zu werfen. Eine entsprechend konstruierte Waffe vorausgesetzt, ist der Rückstoß in der Lage eine Selbstladefunktion einzuleiten. Waffen welcher per Geschossrückstoß betrieben werden, nennt man Rückstoßlader[6][7].
Der Geschossrückstoß bleibt zwar erhalten, solange sich das Geschoss bewegt. Er ist jedoch nur solange in der Lage, auf den Stoßboden zu wirken, wie der Gasdruck noch als fluidmechanischer Körper zur Übertragung der Gegenreaktion genutzt werden kann. Sobald das Geschoss die Mündung der Waffe verlässt, ist es nur noch gut einen Zentimeter Flugstecke dazu in der Lage die hinter ihm liegenden Gase als fluidmechanischen Körper zu verwenden, um mit seiner Gegenreaktion den Stoßboden noch zu erreichen. Danach kommt es zu einem Kontaktabbruch zwischen Geschoss und Waffe. Im Gegensatz zum Gasdruck, ist der Rückstoß nach dem Abgang des Geschosses nicht mehr in der Lage, Kraft auf die Waffe auszuüben. Alle vom Rückstoß zu bewegenden Elemente müssen vorher initial bewegt werden und sind nach dem Abgang auf die ihnen vorher gegebenen Impulse angewiesen, um die nötigen Bewegungen auszuführen.
Raketeneffenkt (Gasrückstoß)[]
Die Bewegung der Mündungsgase(gelb), überträgt die Gegenreaktion über Patronenhülse und Pulvergase(pink) auf Stoßboden und Lauf(grün)
Der Raketeneffekt tritt auf, sobald das Geschoss den Lauf der Waffe verlassen hat. Da die Gase im Lauf unter einem viel höheren Druck stehen als die Umgebungsatmosphäre, kommt es zu einem abrupten Druckausgleich, sobald das Geschoss den Lauf nicht mehr verschließt. Im Zuge dieses Druckausgleiches, strömen die Pulvergase mit einer enormen Geschwindigkeit aus der Mündung. Diese Bewegung der Gasteilchen erzeugt dem dritten Newtonschen-Gesetzt zufolge einen Gegenreaktion, welche sich über das im lauf verbleibende Gas selbst als fluidmechanischen Körper, auf den Stoßboden der Waffe überträgt.
Der Raketeneffekt ist die vierte der vier bedeutenden Stoßbodenkräfte und wirkt, wie der Geschossrückstoß auch, global und ist in der Lage, die gesamte Waffe oder eine lafettierte Teilgruppe nach rückwärts zu treiben. Nur tritt er sehr spät und bedeutend schwächer auf und kann deswegen kaum noch für den Antrieb einer automatischen Funktion genutzt werden. Meist wird er als Hilfskraft bei Rohrschlagladern eingesetzte und seine Wirkung durch einen herkömmlichen Rückstoßverstärker potenziert. Dabei wirken sie jedoch nicht als Stoßbodenkraft, sondern als Rohrkraft bzw. Laufkraft.
Im Gegensatz zu, Geschossrückstoß wirkt der Gasrückstoß theoretisch solange, wie Gas aus der Mündung der Waffe strömt und damit fast solange wie der Rückdruck. Nur nimmt die Geschwindigkeit der Gase nach einigen Millisekunden derart stark ab, dass der Gasrückstoß für den Schützen kaum noch bemerkbar ist.
Übersicht[]
Stoßbodenkraft | Phase | Typ | Stärke | Bezugsssystem |
Zündhütchenaushub | Zündphase | Druck | mittel | Lokal |
Rückdruck I | Zündphase | Druck | stark | Lokal |
Patronenhülsenstreckung | Zündphase | Druck | stark | Lokal |
Auszugsgegenreaktion | Auszieh-Phase | Gegenreaktion
auf leichtere Masse |
schwach | Global |
Rückdruck II | Einpress-Phase | Druck | stark | Lokal |
Rückdruck III | Treib-Phase | Druck | stark | Lokal |
Rückstoß | Treib-Phase | Gegenreaktion
auf schwerere Masse |
mittel | Global |
Raketeneffekt | Abgangs-Phanse | Gegenreaktion
auf schwerere Masse |
schwach | Global |
Verwechslungen[]
Häufig werden vor allem von Laien und Kostümwaffenexperten die Stoßbodenkräfte verwechselt. Dies führte in der Vergangenheit vor allem zur Entstehung der beiden fehlerhaften Dialekten der amerikanisierten Waffensprache. In denen die Verwechslung von Rückdruck mit Rückstoß zum Rückdruckladerfehler und die Verwechslung vom Auszugsgegenreaktion mit Rückdruck zum Rückstoßladerfehler führte.
Einige Personen gehören sogar zu den Rückdruckleugner oder betreiben Rückstoßleugnung wobei jeweils eine Stoßbodenkraft die Existenz abgesprochen wird.
Quellen[]
- ↑ Innere Ballistik. Die Bewegung des Geschosses durch das Rohr und ihre Begleiterscheinungen von C. Cranz - ISDN 978-3642525582
- ↑ Die principiellen Eigenschaften der automatischen Feuerwaffen von Karel Krnka
- ↑ Handfeuerwaffen, Systematischer Überblick über die Handfeuerwaffen und ihre Geschichte Band I von Jaroslav Lugs - ISDN 3-327-00032-8
- ↑ Arbeiten zu Studium und Praxis im Bundesgrenzschutz: Waffenlehre - Grundlage der Systemlehre von Wolfgang Pietzner - [ ISDN 3-930732-32-7]
- ↑ Verschlusssysteme von Feuerwaffen von Peter Dannecker - ISDN 978-3-936632-972
- ↑ Verschlusssysteme von Feuerwaffen von Peter Dannecker - ISDN 978-3-936632-972
- ↑ Engineering Design Handbook - Gun Series - Automatic Weapons von United States Army Materiel Command